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Kastration - ein Dauerthema Verfasst am: 29.03.2017, 22:45 |
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Unkastrierte Hunde sind aggressiv miteinander? Nein, sind sie nicht.
Kaum ein Thema polarisiert so wie das Thema „Kastration“.
Wo immer Hundehalter aufeinandertreffen, ergibt sich früher oder später das Thema: „Kastration, ja oder nein?“
Die Argumente „pro Kastration“ umspannen dabei von „haben wir schon immer so gemacht“, über „dann ist es einfacher“ bis hin zu „meine Hündin soll kein Krebs bekommen“ oder „ich will nicht, dass er/sie Welpen bekommt“ eine breite Palette an Halbwissen oder schlichtweg Beratungsresistenz. Nur sehr wenige, haben sich wirklich zuvor lange und intensiv mit den Vor- und Nachteilen ernsthaft beschäftigt.
Daraufhin wird meist wild diskutiert und man kommt zu dem Schluss: Jeder sagt was anderes“.
Ja, so ist es wahrscheinlich wirklich – jeder sagt was anderes – doch die Wissenschaft, samt neuerlicher und älterer Studien, Erfahrungen, etc. sprechen da eine ganz deutliche Sprache.
Zunächst einmal zum Argument „dann ist es einfacher“ -
Im Tierschutzgesetz (TSchG) finden man unter Paragraph sechs, folgendes:
TSchG §6
(1) Verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres (…)
– dies nur als Basis für alle Überlegungen, die nicht aus einer medizinischen Indikation herrühren.
Aus den Staaten herübergeschwappt und mittlerweile auch hier in Mode gekommen – die Frühkastration.
Frühkastration:
Hier wird dem Hund jegliche Möglichkeit genommen, sich in der Pubertät, mit allen dazugehörenden Entwicklungsschüben, artgerecht und gesund zu entwickeln.
Wie auch der Mensch, ist der Hund ein Säugetier, welcher in seinem Erwachsenwerden notwendigerweise entsprechende Hormone benötigt, um – wie von der Natur eingerichtet – zu reifen.
Durch Hormonschübe in der Pubertät kommt es beispielsweise zu einer Umgestaltung der Knochen – u.v.a. schließen sich die Wachstumsfugen, Verknöcherungen finden statt, usw.
Rassen mit entsprechenden Dispositionen für bestimmte Skeletterkrankungen, wie beispielsweise die Patellaluxation, HD, ED, etc. zeigen eine erhöhte Häufigkeit der Erkrankungen wenn sie frühkastriert wurden.
Aber auch Herz und Kreislauf werden durch die Wachstumshormone in der Pubertät gestärkt. Fallen diese weg, sind im späteren Leben Herz- und Kreislaufprobleme zu erwarten.
Eine weitere extreme Auswirkung hat die Frühkastration auf das Gehirn des Tieres. Die Balance aus Wachstumshormonen und Nervenwachstumsfaktoren geraten durcheinander – die Folgen sind u.a. eine schlechtere Auffassungsgabe und ein verzögertes und eingeschränktes Lernverhalten.
Wenn überhaupt, sollte man also dem Hund erst einmal erlauben erwachsen zu werden, bevor man ihm seiner Hormone beraubt.
Doch auch hier gibt es zu bedenken, dass die Kastration weit mehr Nachteile, als Vorteile für den Hund bringt. Was auch nicht verwundert, schließlich hat die Natur faszinierende Körper erschaffen, die in Gänze ein wunderbares innerliches Netzwerk bilden, welches – ohne Eingriff durch den Menschen – perfekt funktioniert.
Zum Argument: Mein Hund leidet weil er scheinträchtig wird/weil er nicht decken darf.
Hündinnen werden in der Regel ca. 6 Wochen nach der Läufigkeit scheinträchtig.
Die Veränderungen rühren daher, dass bei trächtigen und nicht trächtigen Hündinnen die Hormonspiegel im Blut nach dem Eisprung fast gleich sind.
Progesteron, das schwangerschaftserhaltende Hormon, wird nach dem Einsprung in nahezu gleichen Konzentrationen gefunden. Seine Menge steigt bis zum 20. Tag nach dem Eisprung an und nimmt danach wieder ab.
Parallel zum Abfall des Progesteron steigt ebenfalls bei allen Hündinnen die Konzentration des Prolaktin an. Dieses bewirkt die Vergrößerung des Gesäuges und die Bildung von Milch und zudem das brutpflegende, geburtsvorbereitende Verhalten.
Die Produktion des Prolaktin im Körper ist von Hündin zu Hündin verschieden - daher sind auch die Symptome unterschiedlich stark ausgeprägt.
Man kann also festhalten, dass jede Hündin scheinträchtig wird, die Auswirkungen jedoch völlig unterschiedlich sein können und sich nicht zwangsläufig beim nächsten Mal identisch zeigen.
Während die einen sich nur etwas zurückziehen, mögen andere Hündinnen Nester bauen, Plüschtiere bewachen oder sogar Milch bilden.
Der Scheinträchtigkeit liegen keine hormonellen Fehlfunktionen zugrunde, daher kann man in wenig ausgeprägten Fällen abwarten, bis die körperlichen und Verhaltensauffälligkeiten von selber zurückgehen.
Und der Hund wird auch in den wenigsten Fällen darunter leiden – wir Menschen bemerken eine Veränderung, die wir negativ werten und dem unsere menschlichen Vorstellungen zugrunde legen.
Und hier sprechen wir von einem Ereignis, das je nach individuellem Zyklus maximal 2 Mal im Jahr aufritt.
Leidet ein Rüde, wenn er nicht decken darf?
Auch hier sollten wir – auch wenn uns Jaulen und ständiges Umherschnüffeln männlicher Vierbeiner, so er eine gut riechende Dame im Nasenvisier hat – bedenken, dass die Natur in freilebenden Rudeln auch nur das Decken demjenigen zugehsteht, der in der Rangfolge oben und somit „berechtigt“ ist,
In der modernen Hundezucht wird dies natürlich anders gehandhabt, dort darf decken, der entsprechende Zuchtzulassungen erworben hat.
Das Argument sollte sich lediglich auf das mögliche „Leiden“ beziehen.
Seit Urzeiten darf nicht jeder Rüde wie er gerne möchte, das ist die Natur, so ist, wie die Rassen gewachsen sind, das ist, was der Hund immer noch in sich vereint.
Man mag getrost behaupten, dass der Rüde mehr leiden könnte, wenn er nicht mehr als männliches Wesen von anderen Artgenossen wahrgenommen wird. Oft sieht man intakte Rüden kastrierte Mithunde bespringen. Dieser Faktor mag ein weit höherer Leidensdruck sein.
Der Rüde wird also zu einem Neutrum – wer möchte dies gerne sein?
Und hier sind wir bei einem weiteren Punkt angelangt.
Der Geruch eines Hundes. Der individuelle Geruch eines Hundes ist eines der höchsten Kommunikationswerkzeuge der Vierbeiner.
Nimmt man ihm diesen „rüdentypischen“ oder „damenhaften“ Eigengeruch – nimmt man ihm einen Teil seiner Sprache.
Aus „Hallo, ah Du Rüde „ (vielleicht auch „Du Rüde, also Feind“) – wird ein „ach nee, Du uninteressant“.
Natürlich ist der Umgang mit kastrierten Hunden einfacher. Sie haben weitaus weniger Feinde, weil sie keine Nebenbuhler haben und „stumm“ kann man auch nicht so leicht aufmucken – aber Sie haben ein Lebewesen, was das Recht hat, sich artgerecht zu benehmen. Wenn ein Hundemann allzu rüpelhaft wird, dann ist es ohnehin meist eine Erziehungssache und nicht in allererster Linie auf sein Testosteron zurückzuführen.
Krebs
Krebs ist Argument Nr. 1 – wenn es um die Kastration geht.
Betrachten wir das einmal genauer.
Strenggenommen müssten Sie um das Mammatumorrisiko Ihrer Hündin gen 0 zu senken, die absolut abzulehnende Frühkastration wählen – denn schon nach der ersten Läufigkeit steigt dieses Risiko und nach der zweiten haben diese Hunde ein nahezu gleiches Risiko wie intakte Hündinnen.
Was dem gegenübersteht sind aber die Häufigkeit kastrierter Hunde auf andere Tumor- bzw. Krebsarten.
• Kastrierte Hunde (Rüden und Hündinnen) erkranken in der Regel wesentlich häufiger an:
- Mastzellentumoren,
- Milztumoren,
- Lymphsarkomen,
- Herztumoren und
- Knochentumoren.
Hündinnen zudem:
- Perianaltumoren.
Weitere Nachteile und Folgen der Kastration:
• Stoffwechselveränderung
Die meisten kastrierten Hunde kämpfen mit ihrem Gewicht, einige leider erfolglos. Übergewicht hat leider viele Folgerkrankungen:
- Diabetes mellitus
- Herz- Kreislauferkrankungen
- Gefäßverschlusserkrankungen
- Bildung von Harnsteinen – Harngries => Calciumoxalatsteine
- verringerte Wärmetoleranz
• Inkontinenz
• Welpenfell
• erhöhte Anfälligkeit für Altersdemenz
• Schilddrüsenunterfunkton
• anfälligeres Immunsystem
Wer sich mit dem Gedanken trägt seinen Hund kastrieren zu lassen, dem sei wärmstens ein umfassendes Buch zu diesem Thema ans Herz gelegt.
„Kastration und Verhalten beim Hund“
Autoren: Sophie Strodtbeck/Udo Gansloßer
erschienen im Müller Rüschlikon Verlag
Die Autoren geben hier offen und detailliert zu allen genannten Bereichen Auskunft und gehen auch umfassend auf den Bereich des Verhaltens des Hundes ein.
Sicher gibt es leider immer medizinische Indikationen, die eine Kastration entweder unvermeidbar machen oder sogar eine lebensnotwendige Operation darstellen.
In einem solchen Fall hat der Patientenbesitzer keine andere Wahl als diesen Eingriff vornehmen zu lassen (auch hier ist das genannte Buch sehr empfehlenswert da es zusätzlich Tipps u. a. zur Stärkung des Bewegungsapparates kastrierter Hunde, enthält).
Text:
Anja Pauli-Rehm
Photo:
Quellen:
„Kastration und Verhalten beim Hund“
S. Strodtbeck/U.Gansloßer - Müller Rüschlikon Verlag
ISBN 9783275018208
Tierarzt Rückert – www.tierarzt-rueckert.de |
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