Würde der Tiere



 
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seekrabbe
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BeitragVerfasst am: 16.5.2012, 09:46    Titel: Würde der Tiere    

Die Würde der Tiere und die Gesetze der Menschen

Von der „Würde“ der Tiere zu sprechen und daraus möglicherweise
Rechte der Tiere in Bezug auf die Gesetzgebung abzuleiten,
ist eine Provokation, und zwar in doppelter Hinsicht: zum
einen gegenüber dem Lebensstil unserer Gesellschaft, zu dem es
gehört, dass Tiere industriell zu „Fleischware“ verarbeitet
werden; zum anderen gegenüber dem Weltbild unserer Gesellschaft,
in dem Würde und daraus resultierende Rechte nur für
den Menschen vorgesehen sind. Unser Thema ist also brisant und
wirft Fragen auf, die im Mainstream des naturwissenschaftlichtechnischen
Zeitalters meist untergehen.

In keiner Epoche der Menschheit wurde so vielen Tieren so viel
Leid zugefügt wie in unseren Tagen.

Denken Sie zum Beispiel an die Massentierställe, in denen die
Opfer der modernen Fleisch-, Milch- und Eierindustrie auf so
engem Raum zusammengepfercht sind, dass sie sich aus Angst und
Aggression gegenseitig angreifen: Die Schweine beißen sich Ohren
und Schwänze ab, die Hühner rupfen sich gegenseitig die
Federn aus und hacken sich blutig. Die Legehennen vegetieren
in Käfigen, deren Böden kleiner als ein DIN A4-Blatt sind. Um
die Aggressionen der Tiere in den Griff zu bekommen, vergrößert
man nicht etwa die Ställe, sondern bricht den Schweinen
die Eckzähne aus und schneidet den Hähnen ein Zehenglied ab.

Oder denken Sie an den Leidensweg der Tiere zum Schlachthof –
quer durch Europa per LKW und per Schiff. Viele Tiere kommen
mit Knochenbrüchen, Augenverletzungen und Blutergüssen am
Zielort an. Hunderttausende sterben bereits vorher vor Stress
und Todesangst – allein in Deutschland rund eine halbe Million.

Die Folter in den Tierställen und die Qual der Tiertransporte
mündet dann in die Barbarei der Schlachthöfe. Unbeschreibliche
Angst scheint die Opfer zu erfassen, wenn sie sehen, wie ihre
Artgenossen unter Bolzenschüssen zusammenbrechen. Sie stocken
immer wieder und schreien, doch die Nachkommenden drängen nach
vorn; oft misslingt die Betäubung mit den Elektrozangen, und
die Tiere wachen wieder auf und werden bei vollem Bewusstsein
geschlachtet, entblutet und zerteilt.

Nicht zu vergessen die Torturen der Tiere in den Laboratorien
der Wissenschaft. Man macht sie krank, um Medikamente oder
Kosmetika zu testen, man operiert, transplantiert und amputiert,
man injiziert Gifte direkt in die Bauchhöhle, in die
Augen oder in die Lunge.

Die geschilderten Grausamkeiten stellen nicht etwa seltene Exzesse
dar, sondern gehören zum Alltag des Lebens und Sterbens
der Tiere. Auch wenn die Gesetze unnötige Qualen verbieten –
wie z.B. betäubungsloses Schlachten oder Tierversuche ohne
triftigen Grund –, das meiste geschieht erlaubterweise, und
der Rest passiert einfach, weil die staatlichen Kontrollen zu
großzügig sind oder weil die Grausamkeiten betriebsbedingt
einfach passieren, wenn möglichst viel Fleisch möglichst billig
produziert werden soll. Die meisten Verbraucher verdrängen,
aus welcher Hölle die Hähnchen oder Steaks kommen,
die auf ihren Tellern liegen. Man nimmt ihre blutige Vorgeschichte
hin, weil die betroffenen Tiere eben Nutztiere und
Nutztiere eben Schlachttiere sind, die dafür leben und
sterben, um vom Menschen verspeist zu werden. Das war schon
immer so, und das soll nach der Mehrheit der Zeitgenossen auch
weiterhin so bleiben.

Damit sind wir beim zweiten Konfliktpunkt unseres Themas: der
Tradition und dem Weltbild der westlichen Kultur, die dazu
führten und es erlauben, dass wir so mit den Tieren umgehen.
Das so genannte christliche Abendland hatte von jeher für Tiere
wenig übrig. Der Kirchenlehrer der Antike, Aurelius Augustinus
(354-430), der in seinen „Bekenntnissen“ seinen Schöpfer
mit heißem Herzen pries, schrieb über seine Mitgeschöpfe kühl:
„Aus ihren Schreien können wir ersehen, dass Tiere qualvoll
sterben; aber das tangiert den Menschen nicht, denn das Tier
entbehrt einer vernünftigen Seele und ist deshalb nicht mit uns
durch eine gemeinsame Natur verbunden.“ Und Thomas von Aquin, der
900 Jahre später lebte (1224-1274) und zum einflussreichsten
Kirchentheologen aller Zeiten wurde, warnt ausdrücklich davor,
Tiere zu lieben und mit ihnen Freundschaft zu schließen, weil
Tiere „irrationale Lebewesen“ seien, die keine unsterbliche
Seele hätten. Sein Gedankengut findet sich bis heute im amtlichen
Katechismus der katholischen Kirche. Die Tierliebe eines
Franz von Assisi (1182-1226) blieb Episode.
Auch von der Philosophie kam keine Hilfe für die Tiere. Sie
fühlte sich jahrhundertelang als „Magd der Theologie“. Und im
17. Jahrhundert spitzte René Descartes (1596-1650) die auf den
Menschen zentrierte Weltbetrachtung noch zu – mit seinem berühmten
"cogito, ergo sum". Der Geist reduziert sich auf das
Gehirn des Menschen und der Rest der Welt ist Materie; ein
Tier ist nichts anderes als ein Automat, den Descartes mit
einem „Uhrwerk aus Rädern und Federn“ vergleicht. Dieses mechanistische
Weltbild feierte in der Folgezeit Triumphe im
Verein mit der aufkommenden Naturwissenschaft, verlor aber das
Leben von Natur und Tieren aus den Augen. Sie waren nur mehr
Forschungsobjekte des menschlichen Geistes, der sich die Natur
unterwirft und sie naturwissenschaftlich bezwingt, wie es

Francis Bacon (1561-1626), ein weiterer Protagonist aus der
Zeit propagierte.
Aus dem Dualismus von Geist und Natur entwickelte ein Jahrhundert
später Immanuel Kant (1724-1804) seine Sittenlehre und
den damit verbundenen Begriff der Menschenwürde, der bis heute
prägend wirkt. Eigenwert und Würde kommen nur einem Individuum
zu, das als vernünftiges Wesen autonom ist und sich ein
Sittengesetz geben kann, das dem Gesetz aller vernünftigen
Wesen entspricht, die sich gegenseitig als Selbstzweck anerkennen
und nie als Mittel zum Zweck gebrauchen. Die Autonomie
des Menschen als sittliches Wesen gibt ihm seinen unbedingten,
unvergleichlichen Wert und ist der Grund seiner
Würde. Wörtlich schreibt er: „Also ist Sittlichkeit und die
Menschheit, sofern sie derselben fähig ist, dasjenige, was
allein Würde hat.“

Damit wurde die Kluft zwischen Mensch und Tier noch größer.
Die Würde eines Individuums wird in unserer Vernunftnatur
gesehen, und diese Natur wird nur dem Menschen zugesprochen.
Aus der einmaligen Würde des Menschen entspringen seine einmaligen
Rechte. In diesem Sinne heißt es in Art.1 der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen aus
dem Jahr 1948: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde
und Rechten geboren.“ Und in Art.1 des deutschen Grundgesetzes
von 1949 konstatiert der Verfassungsgeber: „Die Würde des Menschen
ist unantastbar.“
Es ist eine fast tragisch anmutende Weichenstellung der abendländischen
Geistesgeschichte, dass der nach höchster Ethik
strebende Königsberger Philosoph die Würde eines Lebewesens
und die daraus resultierenden Rechte nur für die Menschen
entwickelte und damit wesentlich dazu beitrug, dass von
„Tierwürde“ und „Tierrechten“ bis vor kurzem keine Rede war.

Die Anthropozentrik dieser Weltanschauung war ein wesentlicher
Grund dafür, dass sich unsere naturwissenschaftlich-technische
Zivilisation nicht mit der Natur, sondern gegen sie entwickelte.
Die Elemente, Mineralien, Pflanzen und Tiere wurden
nicht als Partner, sondern als Ressourcen behandelt, die man
unbegrenzt ausbeutete – die Tropenwälder, die Meere, die
Bodenschätze und nicht zuletzt die Tierwelt, die im Dschungel
zum Opfer von Großwildjägern wurde und in den reichen Ländern
zum Opfer der industriellen Fleischproduktion. Inzwischen
rebelliert die Natur gegen das Freibeutertum des Menschen, am
schärfsten durch die Veränderung des Erdklimas, aber auch
durch die Häufung von Krankheit und Seuchen bei Menschen und
Tieren. Die brennenden Scheiterhaufen während der BSE-Krise
und die millionenfache Vernichtung von krankheitsverdächtigem
Geflügel sind Flammenzeichen an der Wand. Die Frage nach der
richtigen Ethik muss neu gestellt werden. Sie wurde seinerzeit
unter Ausklammerung der Natur beantwortet. Diese Antwort
erwies sich offensichtlich als falsch. Also müssen wir eine
neue Lebensordnung finden, in der der Mensch sich bewusst
wird, dass die Erde keinen gewalttätigen Alleinherrscher
duldet, sondern Kooperation des Menschen mit seiner Mitwelt
verlangt.

Im Sinne dieses längst überfälligen Paradigmenwechsels werden
seit einigen Jahrzehnten immer wieder ethische Forderungen
nach einer grundlegenden Neubestimmung des Verhältnisses von
Mensch und Tier laut.

Am spektakulärsten wurden sie zunächst von dem australischen
Philosophen Peter Singer erhoben, der 1975 durch sein Buch mit
dem programmatischen Titel „Liberation of Animals“ die internationale
Szene betrat. Er versucht, die bestehenden Barrieren
zwischen Mensch und Tier durch das Prinzip der
Gleichheit zu überwinden. Wenn wir dieses Prinzip „als eine
vernünftige moralische Basis für unsere Beziehungen zu den
Mitgliedern unserer Gattung“ akzeptieren, dann sind wir „auch
verpflichtet, es als eine vernünftige moralische Basis für unsere
Beziehungen zu denen außerhalb unserer Gattung anzuerkennen
– den nichtmenschlichen Lebewesen“. Dabei setzt dies
nicht Gleichheit der Fähigkeiten von Menschen und Tieren
voraus; es geht um die gleiche Behandlung der jeweils betroffenen
Interessen. Die Interessen der Tiere, die es gebieten,
in unsere Interessenabwägung einbezogen zu werden, gründen vor
allem in ihrer Leidensfähigkeit. Singer stützt sein Postulat
auf die berühmte Frage des englischen Philosophen Jeremy Bentham
(1748-1832), worin denn die „unüberwindliche Trennlinie“
zwischen Menschen und Tieren bestehe: „Ist es die Fähigkeit zu
denken oder vielleicht die Fähigkeit zu sprechen? Aber ein
ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere
und mitteilsamere Lebewesen als ein Kind, das erst
einen Tag, eine Woche oder selbst einen Monat alt ist. Doch
selbst vorausgesetzt, sie wären anders, was würde es ausmachen?
Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: Können sie
sprechen? Sondern: Können sie leiden?“ So wenig es von der
Rasse eines Menschen abhängig sein kann, ob ich sein Leiden
berücksichtige, so wenig kann es von der Gattung eines Lebewesens
abhängig sein, ob man sein Interesse, nicht zu leiden,
berücksichtigt oder nicht.

Wer nur die menschlichen Interessen berücksichtigt und die
Leiden anderer ausklammert, stellt allein auf die Spezies ab,
weshalb Singer das Wort „Speziesismus“ kreiert. Das Prinzip
gleicher Rücksichtnahme auf gleiche oder ähnliche Interessen
gilt vielmehr über alle Gattungen hinweg. Es bedeutet nicht
Gleichmacherei: „In manchen Situationen wird ein Individuum
der einen Spezies mehr leiden als ein Individuum einer
anderen, weshalb wir dann dem größeren Leiden Vorrang geben
müssen.“ Ein markantes Beispiel ist die Nutzung von Tieren als
Nahrung aus der industrialisierten Fleischproduktion. Wenn
Fleischessen keine Voraussetzung für Gesundheit und hohes
Alter ist, sondern im Wesentlichen dem Genuss dient, wiegt das
Interesse des Fleischessers gering gegenüber den Interessen
der Schweine und Rinder, die in der Massentierhaltung leiden.
Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung gestattet es
nicht, die größeren Interessen der Tiere, nicht ein Leben lang
eingesperrt und geschunden zu werden, den kleineren Interessen
des Menschen, ein Steak zu genießen, zu opfern.
Diese Interessenabwägung führt freilich noch nicht zu einem
Recht nichtmenschlicher Lebewesen, nicht getötet zu werden.
Dieser Frage geht Singer in der Weise nach, dass er den Begriff
„Person“ nicht nur auf die menschliche Gattung, sondern auf alle
Lebewesen bezieht, die sich ihrer „Entität bewusst“ sind, die
Vergangenheit und Zukunft kennen und fähig sind, Wünsche hinsichtlich
ihrer eigenen Zukunft zu haben. Soweit dies auf Tiere
zutrifft, räumt er diesen ein Recht auf Leben ein, wie es
menschlichen Personen zukommt.
Mag auch vieles umstritten sein: Was bleibt, ist, dass er den
anthropozentrischen Standpunkt nachhaltig in Frage stellt, indem
er uns lehrt, dass wir bei allen Tieren deren Leidensfähigkeit
zu berücksichtigen haben und bei den höheren Tieren
deren personähnliches Bewusstsein. Daraus folgert Singer am
Ende: „Auf der Ebene der praktischen moralischen Grundsätze
wäre es jedenfalls besser, auf das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken
völlig zu verzichten, außer es wäre notwendig zum
Überleben. Töten wir Tiere zu Nahrungszwecken, so betrachten
wir sie als Objekte, mit denen wir tun können, was wir wollen.
Ihr Leben zählt dann wenig gegenüber unseren Bedürfnissen...

Der zweite internationale Anstoß, den moralischen Status der
Tiere neu zu bestimmen, erfolgte durch den amerikanischen Philosophen
Tom Regan. In seinem 1984 erschienenen Hauptwerk mit
dem Titel „The case for animal rights“ legt er ein philosophisch
ausgewogenes Konzept vor, in dessen Rahmen er den höherentwickelten
Tieren sowohl Eigenwert als auch eigene Rechte
zuspricht. Dabei verbindet er bei seinen Überlegungen ethische
Intuition mit rationalen Schlussfolgerungen.
Der gesunde Menschenverstand, unser Sprachgebrauch und das
Verhalten der Tiere legen uns nahe, ihnen Bewusstsein zuzusprechen,
Wahrnehmungen, Wünsche, Gedächtnis, Zukunftsvorstellungen
und ähnliche Fähigkeiten mehr, die dem menschlichen Bewusstsein
nahe kommen. Jedenfalls für die Säugetiere nimmt Regan
dies an. Aufgrund dieses ihres emotionalen Lebens kommt
den Tieren ein „inhärenter Wert“ zu. Tiere, die aufgrund der
genannten seelischen Eigenschaften Eigenwert besitzen, bezeichnet
Regan als „Subjekte eines Lebens“, denn es handelt
sich um Lebewesen, die ihr individuell erlebtes Wohlergehen
haben, die ein Empfinden von ihrer Identität haben und deren
Leben über die Zeit hinweg für sie gut oder schlecht verlaufen
kann.
Alle Individuen der Säugetierspezies besitzen diesen Subjektstatus,
unabhängig von den konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten
des einzelnen Tieres - ebenso wie die Menschenwürde jedem
Mitglied der Spezies Homo sapiens zukommt, unabhängig davon,
ob er als Säugling oder geistig Behinderter in der Lage
ist, seine Menschenwürde voll zu entfalten. Dabei haben alle
Individuen mit Eigenwert das Recht, dass dieser Wert respektiert
wird, gleich, ob diese Individuen der menschlichen Spezies
oder der Gattung der Säugetiere zugehören.

Das Recht auf den Respekt des Eigenwerts beinhaltet, dass
einem solchen Lebewesen grundsätzlich kein Schaden zugefügt
werden darf. Die schlimmste Schadenszufügung besteht in der
Beendigung des Lebens, weil wir die „Subjekte des Lebens“ ihrer
Zukunftschancen berauben und ihren Eigenwert durch Tötung
missachten.
Im Gegensatz zu Singer setzt Regan nicht bei den Interessen,
sondern bei deren Trägern an und spricht ihnen ein unverbrüchliches,
individuelles, subjektives Recht auf Achtung ihres
Wohlbefindens und ihres Lebens zu. Dabei bleibt weder die
Würde des Menschen auf der Strecke, noch wird sie gleichmacherisch
auf einen Teil der nichtmenschlichen Lebewesen übertragen,
sondern es wird der jeweilige Eigenwert, bestimmt
durch die wesenseigenen Verhaltensweisen, zum Gegenstand moralischer
Rechte, die es bei Tieren ebenso wie bei Menschen verbieten,
sie nicht als Selbstzweck, sondern nur als Mittel zu
behandeln.
Wer würde da nicht an Immanuel Kant denken? Er konnte diese
Brücke zwischen Mensch und Tier allerdings nicht beschreiten,
weil er seine Ethik ausschließlich auf die sittliche Autonomie
der reinen Vernunft stützen wollte, weil er die Einbeziehung
der Natur in seinen ethischen Erkenntnisprozess als Unsicherheitsfaktor
betrachtete.
Um sich aus der anthropozentrischen Enge Kants zu befreien und
ihre verheerenden Folgen für das Verhältnis des Menschen zur
Natur zu überwinden, bedarf es freilich weiterer Anstrengungen.
Sie erfolgten in jüngster Zeit vor allem durch
den deutschen Philosophen Klaus-Michael Meyer-Abich. In seinem
1997 erschienenen Hauptwerk mit dem Titel „Praktische Naturphilosophie“
setzt er der Kopfgeburt einer Philosophie der
„Selbst-Sicherheit“ eine Ethik des „menschlichen Mitseins“ mit
der Natur entgegen. Der Mensch lässt sich nicht ohne die Natur
erklären. Durch die Naturgeschichte ist er geworden, was er
ist. Und wenn wir die ethische Frage stellen, wie wir leben
sollen, können wir sie nicht ohne die uns umgebende und die in
uns zur Gestalt gewordene Natur beantworten. Sie sagt uns, wer
wir sind, und daraus können wir erschließen, was wir sollen.
Im Mitgefühl mit Pflanzen und Tieren erfahren wir die
ursprüngliche Verwandtschaft aller Lebewesen aus der gemeinsamen
Naturgeschichte. Jedes Lebewesen ist als Teil des Ganzen
eine Individuation des Lebens. Alle Lebewesen sind gleichermaßen
naturgemäß und ihrer jeweiligen Natur nach zu behandeln.
Zu dieser Natur gehört es, dass alle Lebewesen danach streben,
„auf die bestmögliche Weise das zu sein, wofür sie ihrer Natur
nach gut sind.“ Aus dem Gleichheitsprinzip ergibt sich unter
anderem, dass auf die Leidensfähigkeit eines Tieres die gleiche
Rücksicht zu nehmen ist, wie auf die eines Menschen. Zu
berücksichtigen ist des weiteren, dass alle Tiere Interessen
und Wünsche haben, entsprechend ihrer Art zu leben. Außerdem
ruht die Achtungspflicht gegenüber unseren Mitlebewesen auf
der Einsicht, dass wir alles, was wir sind, anderen schulden,
sowohl im Rahmen der Abstammungsgeschichte als auch in unserem
heutigen Mitsein. Der Mensch wäre ohne die Tiere nicht entstanden
und nicht überlebensfähig. Wir müssen alle Naturentitäten
so behandeln, „dass in der Natur alles zu seinem Recht
komme.“ Jedes Lebewesen ist Teil einer Gemeinschaft der Natur
und besitzt als solches einen Eigenwert. Da der Eigenwert
aller Wesen aus der selben Quelle stammt, nämlich der Naturgeschichte,
kommt er allen Naturentitäten zu und ist bei ihrer
Behandlung je nach ihrer Eigenart zu achten. Aus dem naturgeschichtlichen
Zusammenhang, in den Mensch und Natur eingebunden
sind, resultiert die Würde des Gewordenen.

Das sind einige der wichtigsten Mosaiksteine einer Tierethik,
die sich im Gesamtwerk Meyer-Abichs verstreut finden. Welche
praktischen Konsequenzen ergeben sich daraus für die Behandlung
der Tiere? Wenn wir auf deren Interessen und Wünsche, naturgemäß
zu leben, in gleicher Weise Rücksicht nehmen müssen
wie auf die Interessen und Wünsche der Menschen, verbietet
sich die Peinigung der Tiere in der Massentierhaltung. Wörtlich
schreibt Meyer-Abich: „Wenn wir es mit der Würde der
Kreatur ernst meinten, sollten wir ihres Schutzes zunächst
einmal dort gedenken, wo fast jeder Bürger der Industriegesellschaften
sie mehrmals täglich selbst verletzt, nämlich
beim Essen.“ Und weiter: „Die Tierquälerei kommt mit auf den
Tisch, wenn Fleisch aus der Massentierhaltung gegessen wird.
Die letzte Konsequenz zieht Meyer-Abich freilich nicht: Zwar
verstärkt der Eigenwert die Forderung, das Tier in seinem natürlichen
Verlangen zu respektieren; aber es darf dennoch getötet
werden.
Versucht man die Grundgedanken Singers, Regans und Meyer-
Abichs, die für die heutige Diskussion einer Neubestimmung des
Mensch-Tier-Verhältnisses repräsentativ sind, zusammenzufassen,
so ergibt sich stichwortartig folgendes Bild: Erstens:
Tiere sind leidensfähige Wesen, die Interessen und Bedürfnisse
haben, die zum Teil ähnlich sind wie die menschlichen Grundbedürfnisse.
Zweitens: Soweit diese Ähnlichkeit besteht,
verlangt das Gleichheitsprinzip, dass wir tierische Interessen
ebenso respektieren wie ähnliche menschliche Interessen.
Drittens: Tiere haben einen Eigenwert, der sich für Singer und
Regan aus ihrem Bewusstsein ergibt, während bei Meyer-Abich
die Verwandtschaft zwischen Tier und Mensch eine zusätzliche
Rolle spielt. Singer spricht von Tier-„Personen“, Regan von
„Subjekten eines Lebens“. Beide leiten daraus Rechte der Tiere
auf artgemäße Behandlung und den Schutz ihres Lebens ab,
weshalb es sich verbietet, sie zu Nahrungszwecken zu töten.
Meyer-Abich spricht von der Würde der Tiere und leitet daraus
Rechte der Tiere ab, die zwar die Massentierhaltung verbieten,
aber nicht das Töten der Tiere nach einem tiergemäßen Leben
zum Zwecke der Ernährung der Menschen. Wir sehen also, die
Grundgedanken überschneiden sich zum Teil, aber die Ergebnisse
gehen in dem zentralen Punkt der Tiertötung auseinander. Wer
hat recht?
Sollen Postulate nach mehr oder weniger weitreichenden Eigenrechten
der Tiere nicht aussichtslose Appelle bleiben, ist jedenfalls
zu klären, inwieweit sie mit dem herkömmlichen
ethischen Denken kompatibel und in inwieweit sie rechtspolitisch
umsetzbar sind.
In philosophischer Hinsicht verringert sich die auf den ersten
Blick naheliegende Spannungslage beträchtlich, wenn man berücksichtigt,
dass die postulierte Rechtsgleichheit zwischen
Menschen und Tieren nicht bedeutet, dass in jedem Fall Leben
gleich Leben ist. Regan erläutert dies an seinem berühmten
Beispiel des überfüllten Rettungsbootes, in dem sich einige
Menschen und ein großer Hund befinden. Das Boot kann vor dem
Untergehen nur bewahrt werden, wenn einer der Insassen über
Bord geworfen wird und stirbt. Zum Bedauern aller Tierfreunde
und zur Beruhigung aller Anthropozentriker wirft Regan den
Hund über Bord – sicherlich schweren Herzens, aber mit der
Rechtfertigung, dass der Schaden, den der Tod für ein Individuum
mit sich bringt, im Verlust von dessen Lebensmöglichkeiten
besteht und dass diese beim Menschen weit größer sind als
bei einem Hund. Im Kollisionsfall müsse der Wert des Lebens
verschiedener Individuen abgewogen werden und das an Erlebnismöglichkeiten
ärmere Individuum dem Individuum mit dem weiteren
Lebenshorizont und mit dem damit einhergehenden höheren
Lebenswert geopfert werden. Die herkömmliche Wertehierarchie,
die vom Primat des Menschen ausgeht, bleibt also unangetastet,
wenn es zum Konfliktfall kommt. Kein Konfliktfall sei es
allerdings, wenn der Mensch ein Tier töten will, um es zu
verspeisen, obwohl er sich auch anderweitig ernähren könnte;
deshalb gehe insofern das Grundrecht des Tieres auf Leben dem
bloßen Interesse des Menschen, möglichst genüsslich zu leben,
vor. Eine ähnliche Abwägung stellten wir, wie schon erwähnt,
auch bei Singer fest, der die Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken
verurteilt, es sei denn, sie wäre notwendig zum Überleben
des Menschen.
Auch der Umstand, dass Tiere meist keine Verantwortung übernehmen
und autonome Entscheidungen treffen können, ist philosophisch
kein Hindernis, ihnen Rechte zuzusprechen: Zwar
kann nach der anthropozentrischen Rechtskonzeption ein
Rechtssubjekt nur ein Wesen sein, das zugleich ein Pflichtsubjekt
sein kann, das sich also seiner Pflichten bewusst sein
und sie erfüllen kann. Der deutsche Philosoph Leonhard Nelson
(1882-1927) hat gegenüber der auf Kant zurückgehenden Symmetrie
von Rechten und Pflichten bereits Anfang des vorigen
Jahrhunderts darauf aufmerksam gemacht, dass für ein
Rechtssubjekt weniger konstitutiv ist als für ein Pflichtsubjekt,
nämlich lediglich die Möglichkeit, Interessen zu haben,
die verletzt werden können. Daran anschließend entwickelt
Nelson eine über den kategorischen Imperativ Kants hinausgehende
Maxime: „Handle nie so, dass du nicht auch in deine
Handlungsweise einwilligen könntest, wenn die Interessen der
von deiner Handlung Betroffenen auch deine eigenen wären.“ Der
Philosoph stellt in Erweiterung des Rechtskonzepts Kants nicht
mehr auf die vernunftgesteuerte Person als alleinigen
Rechtsträger ab, sondern bezieht auch jedes nur interessengesteuerte
Individuum ein. Insofern hat er bereits vieles vorweggenommen,
was in der heutigen Diskussion eine Rolle spielt.
Alle Interessenträger sind nach Nelson gleichzeitig auch Per-
sonen. Sodann stellt er fest: „Jede Person hat als solche mit
jeder anderen die gleiche Würde.“ Daraus leitet er ihr subjektives
Recht auf Achtung ihrer Interessen ab.
Auch bei Nelsons Werttheorie bleibt der Primat des Menschen
unangetastet. Er stellt ausdrücklich fest: „Es gibt kein allgemeines,
philosophisch begründetes Gebot, unsere Interessen
unter allen Umständen dem der Tiere hintanzusetzen... So kann
es sehr wohl erlaubt sein, das Interesse eines Tieres zu
verletzen, wenn sonst ein überwiegendes Interesse unsererseits
verletzt würde... Das gilt folgerichtig auch für den Fall,
dass es nicht möglich ist, das Interesse am eigenen Leben oder
an der Erhaltung der eigenen geistigen und körperlichen Kräfte
anders zu wahren, als durch die Vernichtung eines Tierlebens.“
Als Zwischenergebnis unseres Exkurses zur Verträglichkeit der
neuen Tierethik mit der herkömmlichen Anthropozentrik bleibt
somit festzuhalten: Erstens: Rechte der Tiere zu Lasten der
Menschen stellen keinen Widerspruch zur Rechte- und Pflichten-
Symmetrie der herkömmlichen Ethik dar. Nelsons Konzept, dass
jeder personhafte Interessenträger auch Rechtsträger sein
kann, auf dessen Interessen genauso Rücksicht zu nehmen ist
wie auf die eigenen, ist eine systemgerechte Brücke für die
Ansätze Singers und Regans. Zweitens: Es gibt gewichtige
ethische Gründe, den Tieren nicht nur ein Recht auf tiergerechte
Behandlung, sondern ein Grundrecht auf Leben zuzuschreiben,
wobei im Konfliktfall das Überlebensrecht des Menschen
höherwertig bleibt.
Von dieser philosophischen Plattform aus wollen wir uns nun
noch der Frage zuwenden, wie sich die ethisch postulierte
Tierwürde und die daraus resultierenden Tierrechte zur gegenwärtigen
Rechtsordnung verhalten und inwieweit rechtspoli-
tischer Handlungsbedarf besteht, um dem moralischen Status der
Tiere gesetzgeberisch Rechnung zu tragen.

Wenn ein ethisches Recht auch juristisch fassbar werden soll,
muss es einklagbar sein, d.h. der Rechtsinhaber muss entweder
selbst oder, wenn er dies nicht kann, durch einen Vormund oder
einen anderen gesetzlichen Vertreter die Verletzung seines
Rechts vor Gericht rügen und Unterlassung erzwingen können.
Für die Tiere ist dies bislang nicht vorgesehen. Auch wenn es
z.B. in § 1 des deutschen Tierschutzgesetzes heißt: „Zweck
dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für
das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu
schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund
Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Es handelt sich ersichtlich
um eine Schutzverpflichtung des Menschen, ohne dass
den Tieren ein Recht auf diesen Schutz eingeräumt wird. Wie
sich dieses Defizit für den Tierschutz auswirkt, sei an zwei
Fallbeispielen aufgezeigt:
Erster Fall: Vor rund 15 Jahren kam es in der Nordsee zu einem
massenhaften Robbensterben. Die Behörden hatten mehrere Genehmigungen
erteilt, Abfallstoffe in das Meer einzubringen bzw.
Abfallstoffe auf hoher See zu verbrennen. Daraufhin riefen
eine Reihe von Natur- und Umweltschutzverbänden das
Verwaltungsgericht Hamburg an, um die Aktion zu stoppen. Sie
stellten ihren Antrag "im Namen der Seehunde der Nordsee". Die
Seehunde und ihre Beschützer hatten keine Chance: Das Gericht
stellte fest, dass die Antragsteller Tiere seien und sich als
solche nicht an dem Gerichtsverfahren beteiligen könnten. In
ihren Rechten könnten nur Menschen verletzt werden. Und daran
ändere auch das Tierschutzgesetz nichts, das den Schutz der
Tiere als Mitgeschöpfe vorsehe. Dieser Schutz sei nur als
sittliche Pflicht des Menschen, nicht aber als Recht dieser
Geschöpfe selbst ausgeformt. Träger von Rechten könne allein
der Mensch sein, weil nur ihm die besondere Personenwürde
eigen sei, wie das Gericht in voller Übereinstimmung mit herkömmlicher
Anthropozentrik argumentiert. Die Robben durften
weiter vergiftet werden.
Zweiter Fall: Im Dezember des Jahres 2000 beschloss die deutsche
Bundesregierung, 400.000 gesunde Rinder zu töten und zu
verbrennen. Infolge der BSE-Krise war zu wenig Rindfleisch
konsumiert worden, die Preise waren gefallen und Hunderttausende
von Rindern standen in den Ställen, kerngesund, aber
an ihrem Fleisch war niemand mehr interessiert. Also entschied
man, die überzähligen Rinder „vom Markt zu nehmen“, wie dies
in der Bürokratensprache heißt. Eine solche vorsätzliche Vernichtungsaktion
dürfte noch weniger als die beiläufige Vergiftung
der Robben mit dem Schutzziel des Tierschutzgesetzes vereinbar
sein. Der in § 1 genannte Zweck des Gesetzes, Tiere als
„Mitgeschöpfe“ zu schützen und das gleichzeitige Verbot, sie
nicht ohne „vernünftigen Grund“ zu töten, kommt der Anerkennung
einer Tierwürde ziemlich nahe. Ist damit ein solches
Massaker, das Tiere wie Ausschussware entsorgt, noch vereinbar?
Ist „Marktbereinigung“ ein „vernünftiger Grund“, die
so genannten Mitgeschöpfe zu töten?
Diese Fragen konnten nicht vor Gericht gebracht werden, weil
Rinder – ebenso wie Robben – eben keine Rechtssubjekte sind,
die klagen können, weshalb ihnen auch noch so schöne Bestimmungen
des Tierschutzgesetzes nichts helfen, wenn sie von den
Behörden nicht beachtet werden. Einige Tierfreunde zogen
dennoch vor das zuständige Verwaltungsgericht und machten
geltend, dass dieser Vandalismus nicht nur gegen die Würde der
Tiere, sondern auch gegen die Würde des Menschen verstößt. Das
Gericht entschied, dass eine solche Annahme der anthropozentrischen
Ausrichtung der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes
widerspreche.

Ebenso wenig wie sich die Robben und die Rinder dagegen wehren
konnten, vergiftet und verbrannt zu werden, können sich Mäuse,
Katzen und Affen dagegen wehren, wenn sie bei einem Tierversuch
zu Tode gefoltert werden, der unter Verletzung der
gesetzlichen Voraussetzungen genehmigt wurde. Niemand kann in
Vertretung der Tiere dagegen Einspruch erheben. Und wenn
Behörden es dulden, dass in der Geflügelwirtschaft so genannte
Eintagsküken millionenfach vergast und zerhäckselt werden,
weil man keine Verwendung für sie hat, kann ebenfalls niemand
nachprüfen lassen, ob hier wirklich ein vernünftiger Grund zum
Töten im Sinne des Tierschutzgesetzes vorliegt. Die Tiere sind
rechtlos.
Nicht rechtlos sind hingegen die Massentierhalter, Viehhändler
und Tierversuchsanstalten, wenn es darum geht, ihre Interessen
durchzusetzen. Sie können sich gegenüber behördlichen Einschränkungen
auf ihre Grundrechte der freien Berufsausübung
und der Wissenschaftsfreiheit berufen, also auf Verfassungsrechte,
während das Tierschutzgesetz nur einfaches Recht darstellt,
das im Konfliktfall dem Grundrecht des Tierschutzes
weichen muss. Auch hierfür zwei Beispiele:
Im Jahr 1994 versagte die Berliner Tierschutzbehörde die
Genehmigung für einen Tierversuch, der vorsah, Affen von Geburt
an ein Auge zuzunähen, über die Bindehaut eine schmerzhafte
Kupferdrahtspule zu implantieren, Schrauben in ihre
Schädel zu bohren und die Tiere mehrere Stunden lang mit dem
Kopf auf einem so genannten Primatenstuhl zu fixieren. Die
Behörde war der Auffassung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen
für ein solch grausames Unterfangen nicht vorliegen,
weil nicht nachgewiesen sei, ob ein solcher Versuch wissenschaftlich
„unerlässlich“ sei. Der Wissenschaftler klagte und
gewann den Prozess. Warum? Die Gerichte stellten fest, dass
das Grundrecht der Forschungsfreiheit das Prüfungsrecht der
Behörde einschränke. Diese müsse sich bei der Prüfung darauf
beschränken, ob die Darlegungen des Wissenschaftlers für die
Bejahung der ethischen Vertretbarkeit seines Versuchs plausibel
sind. Ein zwingender Beweis ist also nicht erforderlich.
Ein weiteres Beispiel für die Zurückdrängung von Tierschutzinteressen
durch die Grundrechte der Tiernutzer stellt der
Fall eines muslimischen Metzgers dar, dem die Genehmigung zum
Schächten versagt wurde. Sie ist nach deutschem Tierschutzrecht
nur zu erteilen, wenn zwingende Vorschriften einer Religionsgemeinschaft
das betäubungslose Schlachten vorschreiben.
Für den Islam verneinten Behörden und Gerichte über viele Jahre
hin das Vorliegen dieser Voraussetzung, weil der Koran
einem Moslem gestattet, im Ausland auch nicht geschächtetes
Fleisch zu essen bzw. ganz auf Fleischnahrung zu verzichten.
Im Jahr 2002 korrigierte das Bundesverfassungsgericht diese
Rechtsprechung mit dem Hinweis, dass der muslimische Metzger
in seiner Berufsfreiheit schwer beeinträchtigt wäre, wenn er
sich auf den Verkauf von Fleisch nicht geschächteter Tiere umstellen
müsste.
Das Urteil löste so großes Unbehagen aus, dass sich der deutsche
Bundestag schließlich dazu bereitfand, endlich den Tierschutz
neben dem Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung
aufzunehmen. Damit wurden die Interessen der Tiere zu einem
Verfassungswert, über den man nicht mehr so leicht wie bisher
hinweggehen kann. Der nächste Prozess um eine Schächtungsgenehmigung,
der bereits anhängig ist, wird vermutlich zum
Nachteil des muslimischen Metzgers ausgehen. Und der Wissenschaftler
aus Berlin wird seine Tierversuche nicht mehr mit
leichter Hand begründen können, um eine Genehmigung hierfür zu
erhalten.

Wenn man dem Schutz der Tiere wirklich Rechnung tragen will,
darf man ihnen freilich nicht nur ein Staatsziel widmen, das
sie nur mittelbar schützt, sondern muss ihnen grundrechtsähnliche
Rechte zusprechen, die ein Treuhänder für sie einklagen
kann und die mit den Grundrechten von Wissenschaftlern,
Fleischproduzenten und Tiertransporteuren unmittelbar konkurrieren
können. Wie könnten diese Tiergrundrechte aussehen?
Wollen wir die Tiere als Mitgeschöpfe ernst nehmen, müssen wir
ihnen jedenfalls ein Recht auf Beachtung ihrer Tierwürde zubilligen,
das sie vor dem Missbrauch als Versuchsobjekte bewahrt.
Der Konflikt zwischen den in Versuchslabors malträtierten
Affen, Hunden und Katzen einerseits und den Interessen
von Medizin, Pharmaindustrie und "Grundlagenforschern"
andererseits findet dann in Augenhöhe statt und zwingt dazu,
endlich ernsthaft abzuwägen, ob das Leiden der Tiere in angemessenem
Verhältnis zu dem daraus resultierenden Nutzen für
die Menschen steht. Bei dieser Abwägung wird es auch eine
Rolle spielen, ob es der "Würde des Menschen" entspricht, dass
er für fragwürdige Versuche, deren Ergebnisse vielfach gar
nicht auf den Menschen übertragbar sind, andere Lebewesen ihrer
Würde beraubt.
Des weiteren ist den Tieren ein Grundrecht auf ein artgerechtes
Leben zu gewährleisten. Dann wird es endlich zur
Verfassungsfrage, die vor Gericht gebracht werden kann, ob es
weiterhin möglich ist, Millionen von Hühnern in Käfigen einzusperren,
in denen sie sich gegenseitig blutig hacken, so dass
man ihnen die Schnäbel abbrennt und Zehen abschneidet, damit
sie überhaupt überleben können. Auch hier ist bei der Abwägung
des Konflikts "die Würde des Menschen" gefragt, mit der eine
solche Behandlung der Tiere unvereinbar ist - ebenso wie das
Kastrieren junger Ferkel (ohne Betäubung), um den
Fleischessern den Ebergeruch zu ersparen, oder die Aufzucht
von Schweinen in dunklen Ställen, um sie in Apathie zu
versetzen und damit die Mast zu beschleunigen.
Die Eier- und Fleischproduzenten werden gegen solche Grundrechtsforderungen
Sturm laufen, nachdem es einer verfehlten
Landwirtschaftspolitik in den letzten Jahrzehnten gelungen
ist, bäuerliche Klein- und Mittelstandsbetriebe zu vertreiben
und durch Agrarfabriken zu ersetzen. Wollen wir uns ein für
allemal dem Diktat einer industrialisierten Fleischproduktion
beugen oder wollen wir aus dieser Sackgasse nicht nur um unserer
Gesundheit willen, sondern auch aus Respekt vor dem
Leben der Tiere wieder herauskommen? Nicht über Nacht und unter
Inkaufnahme des wirtschaftlichen Zusammenbruchs einer
arbeitsplatzträchtigen Branche, sondern durch einen allmählichen
Übergang in einen friedfertigeren Umgang mit unseren Mitgeschöpfen.
Das gilt auch für das fundamentale Recht der Tiere auf Leben.
So lange unsere Gesellschaft noch weitgehend auf Fleischgenuss
fixiert ist, ist dieses Grundrecht der Tiere nur schrittweise
realisierbar und deshalb nur unter dem Vorbehalt näherer
gesetzlicher Regelungen zu verankern. Das Grundrecht würde zunächst
die Überproduktion von Schlachttieren verbieten, die
anschließend wieder zu Vernichtungsaktionen führt. Sodann
müsste zur allmählichen Umsetzung des Lebensschutzes zu Gunsten
der Tiere eine Umprogrammierung unserer Essgewohnheiten
stattfinden. Wenn wir unseren Kindern, die nicht selten eine
natürliche Abneigung gegen Fleischnahrung haben, nicht länger
einreden: "Ihr müsst Fleisch essen, damit aus euch etwas
wird", reduziert sich der Fleischverbrauch in der nachwachsenden
Generation von selbst. Wenn wir die Gastronomie
verpflichten, auf ihren Speisekarten zur Hälfte vegetarische
Gerichte anzubieten, dann ändert sich allmählich unsere Esskultur.

Für diese Programmatik bliebe auch neben der Grundrechtsgewährleistung
eine Staatszielbestimmung von Bedeutung. Wollte
man mit ihr den aufgezeigten ethischen Forderungen in vollem
Umfang Rechnung tragen, müsste sie nicht nur das Ziel, Tiere
zu schützen und zu achten, enthalten, sondern auch das weiterführende
Ziel, diese nicht mehr zu schlachten. Auf der
Ebene des Rechts, das in der Regel nur das ethische Minimum
enthält, ist dieses hohe Ideal gegenwärtig nicht durchsetzbar.
Seine Befürworter sollten ein in diese Richtung weisendes
Ziel, wonach Tiere zu schützen sind, dennoch nicht aufgeben.
In der Schweizer Verfassung ist sogar schon von der „Würde der
Kreatur“ die Rede. Solche Zielbestimmungen enthalten kein
Verdikt des gegenwärtig praktizierten Fleischverzehrs, aber
eine verfassungsrechtliche Tendenz zu dessen Reduzierung.
In der neben der Staatszielbestimmung in der Verfassung zu
verortenden Grundrechtsgewährleistung zugunsten der Tiere
könnte all dies mit folgender Formulierung berücksichtigt
werden: "Jedes Wirbeltier hat ein Recht auf Achtung seiner
Würde und auf Leben entsprechend seiner Art. Eingriffe sind
nur aus dringenden Gründen des öffentlichen Interesses im
Rahmen der Gesetze zulässig." Ob dieser Vorschlag rechtsdogmatisch
haltbar und für die Rechtsanwendung praktikabel wäre,
bedürfte noch gründlicher Untersuchung. Der erste der beiden
Rechtssätze, in dem den Tieren ein Recht auf Würde und artgerechtes
Leben als Grundrecht garantiert wird, würde wohl bedeuten,
dass die heute praktizierte Massentierhaltung von
Verfassungs wegen abgeschafft und durch eine artgerechte
Tierhaltung ersetzt werden müsste. Der zweite Satz, wonach
Eingriffe in das Leben der Tiere aus Gründen des öffentlichen
Interesses zulässig sind, wäre das Regulativ zwischen einem
absoluten Lebensschutz der Tiere und der relativen Bereitschaft
einer karnivoren Gesellschaft, diesem Lebensschutz
Rechnung zu tragen. Je mehr Menschen vom Fleischessen Abstand
nehmen, umso geringer wird das öffentliche Interesse an der
Schlachtung von Tieren. Dass sich die Gesellschaft in diese
Richtung bewegt, wird wiederum von dem Staatsziel Tierschutz
intendiert - in Verbindung mit einer unablässigen Folge
kleiner und größerer Schritte des Gesetzgebers, der dem
Staatsziel durch Förderung vegetarischer Lebensweise Rechnung
tragen müsste.
Manchem mag dies heute noch utopisch anmuten, doch die Zeit
ist für einen solchen Evolutionsschritt reif. Die gegenwärtige
Naturkrise drängt die Menschheit auch zu einer Neubestimmung
ihres Verhältnisses zu den Tieren. Wer dabei an der Tötung von
Tieren durch den Menschen festhalten will, weil auch Tiere
sich gegenseitig töten, übersieht, dass sie dies aufgrund ihrer
naturhaften Bindung tun, während der Mensch aufgrund seiner
evolutionären Entwicklung davon frei ist, worauf wir normalerweise
ja ganz besonders stolz sind. Zum ersten Mal tritt
mit dem Homo sapiens eine Spezies auf, die frei darüber entscheiden
kann, ob sie darauf verzichtet, andere Lebewesen zu
verspeisen. Es war ein erster Schritt, dass im Lauf von Jahrhunderttausenden
der Kannibalismus der Naturvölker abnahm und
die Menschen aufhörten, sich gegenseitig aufzufressen. Jetzt
wäre es an der Zeit, dass der Mensch den zweiten Schritt tut,
indem er auch aufhört, Tiere zu verspeisen.
Das fordert ohne Zweifel altehrwürdige Traditionen heraus.
Doch diese Herausforderung ist unvermeidbar, wenn kulturelle
Wenden bevorstehen. So war es bei der Befreiung der Sklaven
und der Gleichstellung der Schwarzen, bei der Aufhebung der
Leibeigenschaft, bei der Gleichberechtigung der Geschlechter,
und so ist es nunmehr bei der Anerkennung der Würde und des
Schutzes nichtmenschlicher Lebewesen. Was heute noch unvorstellbar
ist, wird morgen selbstverständlich. Zu Recht stellte
das abendländische Universalgenie Leonardo da Vinci fest: „Es
wird die Zeit kommen, in welcher wir das Essen von Tieren
ebenso verurteilen, wie wir heute den Kannibalismus verurteilen.“
Der Frieden mit der Natur, den wir so dringend brauchen,
setzt den Frieden mit den Tieren voraus. Sie sind unsere
Verwandten, die uns in der Entwicklungsgeschichte des Lebens
vorausgingen. Sie wollen nicht von uns umgebracht werden, sondern
schauen zu uns auf und wollen mit uns Freundschaft
schließen. Jeder von uns kann zu dieser Freundschaft beitragen,
indem er seine Verwandten nicht mehr aufisst. Ihr und
unser Leben fließt aus dem selben göttlichen Urquell allen
Lebens. Wir haben es nicht geschaffen und dürfen es deshalb
auch nicht zerstören. Es ist derselbe Atem, der sie und uns
durchströmt, der Odem Gottes.

Quelle Kanzlei Sailer, Belgrad-Vortrag
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BeitragVerfasst am: 16.5.2012, 13:06    Titel:    

Hallo Elke,

danke für das Posten dieses Artikels.
Er ist interessant und erschreckend zugleich.

Mir hat er einen großen Anstoß gegeben, denn da mein Sohn ab Wintersemester anfängt Philosophie zu studieren, was ich auch immer machen wollte, hatte ich überlegt mich anzuschliessen. Altersmäßig habe ich es dann doch wieder verdrängt wieder aufgenommen, war mir sehr uneins - aber jetzt werde ich es machen.

Kernpunkt ist tatsächlich, dass auch der blödeste Deutsche die kant'sche Denkweise verinnerlicht hat (selbst aber wahrscheinlich keine einzige Seite seiner Publikationen verstehen würde). Und diese geht ja weit über die "Würde" des Tieres hinaus - denn wenn wir genau hinsehen, haben auch Kinder und vor allem Behinderte keinen sehr hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft.

Mir hat ein Doktor der Philosophie der Uni Düsseldorf mal gesagt, er habe eine Publikation verfasst (ähnlich abwertend wie die von Kant, ein Hardliner halt) - in der sein Fakt ist "Nur wer weiß, dass er sterben wird, steht auf einer höheren Ebene" - Tiere wüssten das nicht, ergo .........

Aber genau das ist einfach zu widerlegen, da muss man nichtmals neuere Studien aus Budapest oder Wien heranziehen - man muss nru zu den Elefanten schauen Winken

LG
Anja

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BeitragVerfasst am: 16.5.2012, 13:12    Titel:    

Nachtrag

Dass die Religionen (und da ist ja nicht nur unsere christliche Anschauung angesprochen) Tiere ablehnen liegt wohl daran, dass Angst reagiert.

Denn wo eine reine Seele propagiert wird, da muss der Mensch anerkennen, dass die Seele des Tieres wohl die reinste unter allen ist.

VG
Anja

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BeitragVerfasst am: 16.5.2012, 20:13    Titel:    

Werde den Artikel in einer ruhigen Minute lesen!
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(Konrad Lorenz)
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BeitragVerfasst am: 16.5.2012, 20:19    Titel:    

ich schließe mich nicole an...
...und, anja, ich hoffe/glaube, dass jedes gescjoepf (also auch ein jedes tier) im himmel willkommen ist... liebe
ich bin kein theologe und mein wissen ist wahrscheinlich auch nicht das größte, aber wenn gott/allah/buddha... seine geschoepfe liebt, dann liebt er auch die tiere.
das ist meine meinung/mein wunsch - ohne dass ich diesbezueglich in der bibel nachgelesen habe.
liebe

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BeitragVerfasst am: 16.5.2012, 21:09    Titel:    

es freut mich, daß ein wenig Resonanz zu dieses Thema kommt

und es freut mich noch mehr, wenn noch mehr menschen so etwas lesen und ein wenig darüber nachdenken um letztendlich zu erkennen, daß auch unsere Tiere eine Würde haben und es verdienen würdevoll behandelt zu werden.

§1 Tierschutzgesetz: keinem Tier darf Leid zugefügt werden.

Dennoch gibt es Tierversuche. Das widerspricht sich und man sollte überlegen, was man daran ändern könnte.

Lieben Gruß
Sunny und Elke
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